Kernaufgabe eines Versicherungsbrokers ist das Studium der Versicherungsbedingungen. Im nachstehenden Interview von Gianni Müller* äussert sich Felix Lechner zu den „Prämienanpassungsklauseln“ und allen anderen „Bedingungsanpassungs- oder Bedingungsänderungsklauseln“ in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen.


In Versicherungsverträgen gibt es Klauseln, die es dem Versicherer erlauben die Prämien und Bedingungen anzupassen. In der Lehre wird der Terminus „Vertragsanpassung“ z.B. dann verwendet, wenn es darum geht, ein bei Vertragsabschluss unvorhersehbares, gravierendes, durch eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse entstandenes Missverhältnis der Leistungen auszugleichen, die sog. clausula rebus sic stantibus.

Die clausula rebus sic stantibus erlaubt die Vertragsanpassung nur bei einer gravierenden Störung. Die vertraglichen Anpassungsklauseln in Versicherungsverträgen ermöglichen es dem Versicherer auch bei leichten Störungen anzupassen, ohne dafür auf das Einverständnis des Vertragspartners angewiesen zu sein.

Durch den extensiven Gebrauch einseitiger Änderungsrechte wird das Prinzip der konsensualen Willensbildung, wie es für das Vertragsrecht gilt, weitgehend ausgehöhlt. Das führt dazu, dass der Grundsatz „pacta sunt servanda“ zur Leerformel werden kann.

Die sogenannten Bedingungsänderungs- oder Bedingungsanpassungsklauseln sind für mich schlicht unhaltbar. Der Versicherer behält sich dabei in Versicherungsverträgen das Recht vor, den Vertrag bzw. den vertraglich vereinbarten Leistungsinhalt im Nachhinein einseitig zu modifizieren – und zwar auch bei klaren Vertragsessentialia. Da werden Prämien angepasst oder auch der Rahmen des Selbstbehalts, die Entschädigungsgrenze oder der Deckungsumfang geändert. Ich kann Ihnen weit formulierte Klauseln zeigen, die den Versicherer sogar dazu ermächtigen, „die AVB“ ganz oder teilweise zu revidieren.

 

Ist das nicht ganz normal?

Das darf es nicht sein! Auf was soll sich der Versicherungsnehmer bei derartigen Verträgen denn noch verlassen können? Gestützt auf solche vertraglich eingeräumte Ermächtigungen kann der Versicherer mit dem Versicherungsnehmer willkürlich machen was er will und die ursprünglich offerierten Leistungen völlig verändern, z.B. reduzieren oder verteuern.

 

Braucht der Versicherer dieses einseitige Recht nicht um über die Zeit flexibel zu reagieren auch zum Nutzen des Versicherungsnehmers?

Aber doch nicht mit dieser Einseitigkeit! Das widerspricht jedem gesunden Rechtsempfinden! Gehört es nicht zum Wesen von Verträgen, dass sie konsensual geschlossen werden, indem sich die Kontrahenten auf ein Regelwerk mit einem bestimmten Inhalt einigen? Soll dieses Regelwerk gar nicht mehr oder aber mit geändertem Inhalt weiter gelten, müssen sich beide Parteien erneut einigen.

Dem Versicherungsnehmer bleibt als einzige Möglichkeit, den vom Versicherer nachträglich modifizierten Vertrag zu kündigen, sofern ihm im jeweiligen Fall ein solches Recht überhaupt zusteht.

 

Wenn eine Bundesbehörde bei einer gesetzlich geregelten Deckung eine Änderung der Prämien, der Selbstbehalte, der Entschädigungsgrenzen oder des Deckungsumfanges vorschreibt, dann erscheint es nur richtig, dass der Versicherer für sich das Recht beansprucht die Vertrag auf das folgende Versicherungsjahr anzupassen, ohne dabei der Gegenseite ein Kündigungsrecht einzuräumen….

Absolut falsch. Aber hier muss ich mich aber gar nicht mehr aufregen. Das Bundesgericht hat bereits entschieden, dass so eine Klausel ungewöhnlich ist und deshalb nicht gilt. Kein Versicherungsnehmer kann davon ausgehen, dass ihm bei inhaltlich bedeutenden Änderungen kein Kündigungsrecht zu steht.

 

Wie überprüft man, ob eine Bedingungsanpassungs- und -änderungsklausel gültig ist?

Grundsätzlich gibt es ganz allgemeine Prüfpunkte und solche die speziell für AGB’s vorgesehen sind.Allgemeine Prüfpunkte sind die Bestimmbarkeit, das billige Ermessen und die übermässige Bindung. Bei der AGB-Kontrolle geht es um die Geltungskontrolle, die Auslegungskontrolle und die Inhaltskontrolle.

Kurzum: Ein Instrumentarium, das es dem Versicherungsnehmer erlaubt, die Gültigkeit der Bedingungsanpassungs- und änderungsklauseln zu überprüfen.

 

Das scheint mehr ein Tipp für Juristen zu sein. Was kann der juristisch unbedarfte Versicherungsnehmer machen?

Da der Versicherer weiss, dass er die Bedingungen des Vertrages während der Laufzeit anpassen oder ändern kann, ist eine lange Vertragsdauer für ihn von Vorteil, aber nicht für den Versicherungsnehmer. Es ist deshalb tunlichst darauf zu achten, dass Versicherungsverträge ein jährliches Kündigungsrecht enthalten.

 

*Gianni Müller ist Jurist und geschäftsführender Partner der Firma Bürki inno med AG, Widnau